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AutorenbildJojo Weiß

Thalassophobie, Angst vor tiefem Wasser - Mit Hypnose die Angst vor tiefem Wasser überwinden.



Fallbeispiel: Wenn die Phantasie auf Hochtouren läuft. Thalassophobie, die Angst vor tiefem Wasser, eine kreative Meisterleistung mit Hypnose.


Nicola (Name geändert), 43, bildender Künstler, kontaktierte mich, weil er unter extremen Ängsten im Zusammenhang mit tiefem Wasser litt. Er sprach leise, sanft und brachte eine Verletzlichkeit und Tiefe mit, die sich in seinen Skulpturen und Bildern widerspiegelte.


„Ich war schon immer so, seit ich denken kann", erzählte er und fuhr fort, Das Laute, Grobe und Stumpfe in dieser Welt war mir stets zuwider. Früh tauchte ich in Geschichten und Erzählungen ein und begann meine inneren Bilder in Knetfiguren und kleinen Skizzen auszudrücken, später wurde daraus meine Berufung."


„Mein Vater, er ist Italiener, kam damit überhaupt nicht zurecht. Er wollte viel lieber einen Jungen, der Fußball spielt und typische Jungssachen mag. Was beim Darüber-Sprechen jedes Mal wie ein Klischee klingt, war bei uns Alltag: Du immer mit deinen Träumen, wovon willst du denn mal leben, wenn du nichts Richtiges lernst? Puh, echt anstrengend, jahrelang."


Neben der ausgeprägten Angst vor tiefem Wasser hatte sich bei Nicola im Laufe der Zeit auch eine Tendenz zum Rückzug, mit Merkmalen einer sozialen Phobie herausgebildet, weswegen er auch zu einer Verhaltenstherapeutin ging. Seine Thalassophobie wollte er jedoch, in Absprache mit seiner Therapeutin, in einer Hypnotherapie bewältigen.


Seine Mutter und seine zwei Jahre ältere Schwester hatten all die Jahre immer wieder versucht, die Streitigkeiten zwischen ihm und seinem Vater auszugleichen, so wie es in vielen Familiensystemen der Fall ist.


"Wann hast du die Angst vor der Tiefe des Wassers zum ersten Mal bemerkt?", fragte ich Nicola.


„Das war im Italienurlaub, in der Heimat meines Vaters auf Sizilien. Ich wollte eigentlich gar nicht mit zum Strand, weil diese Menschenansammlung, alle eingeölt und wie die Heringe nebeneinander, überhaupt nicht mein Ding war. Es gab deswegen einen Riesenstreit mit meinem Vater, und ich habe mich um des Familienfriedens willen breitschlagen lassen."


"Als ich damals ins Meer ging, war sie auf einmal da, eine heftige Angst unterzugehen, runtergezogen zu werden in diese bodenlose Tiefe. Heute würde ich sagen, ich hatte dort im Wasser meine erste Panikattacke. Ich wollte nur noch raus, weg von diesem überfüllten Strand, weg vom Meer und weg von all den Menschen. Ich wollte alleine sein, aber das ging nicht.“


„Zuerst war mir gar nicht klar, was sich da im Meer gerade abgespielt hatte. Ich war einfach ziemlich verwirrt und verängstigt. Meine Familie bekam von alldem überhaupt nichts mit. Meine Schwester lag mit ihrem Walkman in der brütenden Sonne, genau wie meine Mutter, die dabei las, während mein Vater mit einem anderen Familienvater lautstark diskutierte. "


Also tat ich das, was ich auch heute noch tue, wenn ich für mich sein will und nicht alleine sein kann. Ich kramte meinen Skizzenblock raus und fing an zu zeichnen“, erzählte Nicola.


„Wie alt warst du damals?“, wollte ich gerne wissen.

„Ich denke vierzehn oder fünfzehn“, antwortete er und hob dabei die Schultern.


„Wie ging es dann weiter?“, fragte ich nach.


„In den nächsten beiden Tagen blieb ich in unserer Ferienwohnung, wenn die anderen zum Strand gingen, und traf mich mit einem befreundeten Mädchen, das ich schon von klein auf kannte. Da wir gefühlt schon mein ganzes Leben dort auf Sizilien unseren Sommerurlaub verbrachten, kannte ich sie gut und nach anfänglichem Zögern erzählte ich ihr von meinem Erlebnis“, erwiderte Nicola.


„Wie hast du dich dabei gefühlt?“, war meine folgende Frage..


„Soweit ich mich erinnere, war es erleichternd und zugleich auch sehr neu für mich. Auf jeden Fall tat es gut, jemanden zum Reden zu haben, außerhalb der Familie. Da wir kurz vor dem Ende unseres Urlaubs waren, blieb mir ein weiterer Strandbesuch fürs Erste erspart“, kam die Antwort.


Damals konnte Nicola nicht ahnen, dass er im Begriff war, eine Angststörung (ich verwende lieber den Begriff Angstproblematik) zu entwickeln, die ihn für lange Zeit seines Lebens begleiten würde.


Er hatte gehofft, bei dem Vorfall im Meer handele es sich um eine einmalige Erscheinung und beschloss, außer mit der italienischen Freundin mit niemandem darüber zu sprechen. Das Leben jedoch zeigte ihm bei verschiedenen Gelegenheiten, es hatte sich etwas verändert.


Nicola erzählte: „Ich fing an, mich im Dunkeln unwohl zu fühlen. Wenn ich Filme im Fernsehen sah, konnte ich überhaupt keine Gewaltszenen mehr ertragen und wenn ich doch noch einmal einen Thriller oder einen Actionfilm sah, beschäftigten mich die Bilder tagelang. Andererseits wollte ich auch nicht auf die Filmabende mit meiner Schwester verzichten."


"Ich versuchte mir dann jedes Mal zu sagen: ‚Es ist nur ein Film. Niemand stirbt, keiner hat Schmerzen, das alles ist Teil eines Filmsets.' Doch schon nach kurzer Zeit zog es mich wieder so in den Bann, dass mir sogar übel wurde.“


Ich unterbrach ihn kurz: „Daran lässt sich gut sehen, wie Hypnose funktioniert. Unser Unterbewusstsein nimmt das Gesehene für bare Münze, und der Körper reagiert entsprechend darauf. Das funktioniert sogar, wenn wir es uns nur vorstellen. Wir kommen später darauf zurück. Entschuldige, ich habe dich unterbrochen, erzähl gerne mehr.“


Nicola fuhr fort: „Zum Glück konnte ich mich meiner Schwester gegenüber öffnen, und wir einigten uns darauf, bei unseren Filmabenden eher Komödien und Liebesfilme anzusehen.“


Den nächsten großen Angstschub erlebte Nicola im selben Sommer am Baggersee, beim Zelten mit seinen Freunden. Seine Eltern erlaubten ihm dort zu übernachten unter einer Bedingung: keinen Alkohol und keine Drogen. Schon nachmittags beim Schwimmen im See war die Angst wieder da.


Sobald er die Augen schloss, wurde es stärker, und es kamen Bilder aus dem Film "Der weiße Hai". Er sagte sich innerlich: 'Das ist absurd, ich schwimme hier in einem Baggersee in Süddeutschland, und ich höre die Stimmen meiner Kumpels. Hier gibt es keine Haie oder andere gefährliche Tiere.' Doch die Angst ließ sich davon nicht beeindrucken. Wieder verließ er so schnell wie möglich das Wasser und setzte sich in die Sonne, um sich aufzuwärmen.


Wie bei Nicola tauchen bei vielen anderen Betroffenen an dieser Stelle der Problematik Gedanken auf wie: O Gott, jetzt werde ich verrückt, das ist doch nicht normal. Wenn die Anderen das merken, lachen sie mich aus. Das geht bestimmt nie wieder weg. Eine sogenannte Angststörung entwickelt sich.


„Hey Nico, was ist los mit dir, hast du keinen Bock auf Wasser-Frisbee?“, rief einer seiner Freunde aus dem See.


„Mir ist kalt“, rief er zurück und winkte ab. Jetzt nahm sein Gedankenkarussell noch mehr Fahrt auf. Gleich werden sie es merken, dachte er, und seine innere Stimme sagte: 'Reiß dich zusammen.' Seine lebhafte Phantasie trug dazu bei, dass er sich förmlich selbst in diverse Horrorszenarien hinein hypnotisierte, bis er an den Punkt kam, an dem er einfach nur noch nach Hause wollte.


„Jungs, ich hab totale Magenschmerzen, mir ist echt schlecht. Sorry, aber ich geh jetzt nach Hause“, gab Nicola seinen Freunden zu verstehen, nachdem er eine ganze Weile innerlich mit sich gekämpft hatte.


„Voll schade“, meinte sein bester Kumpel und fragte ihn, ob er Hilfe bräuchte. „Nein, lass mal gut sein, ich schaff das schon“, antwortete Nicola, während er seine Tasche packte und sich aufs Fahrrad schwang.


Von da an hatte eine lange Odyssee begonnen, mit abgebrochenen Klassenfahrten, verkorksten Ferienlagern und dem Fernbleiben vieler gemeinschaftlicher Aktivitäten, wobei die Angst vor dem tiefen Wasser immer mehr in den Vordergrund geraten war.


Nicolas Therapieziel war es, sich von den völlig irrationalen Bildern und Phantasien befreien zu können, die ihn bereits beim Gedanken an das Schwimmen in einem See, im Meer und in jüngerer Zeit sogar im Schwimmbad heimsuchten.


Auf meine Frage, ob er das noch mehr konkretisieren könne, antwortete er: „Ich will, dass mich diese absurden Vorstellungen in Ruhe lassen und ich endlich wieder ganz normal schwimmen gehen kann. Ich möchte mit dem Kopf unter Wasser tauchen können und mich dabei wohlfühlen!“


In einem ersten Schritt betrachteten wir in der Trancearbeit die enorme Fähigkeit seines Geistes, sich all die Phantasien auszumalen, welche Gefahren im Wasser lauern könnten.

Bei dieser Gelegenheit konnte er feststellen, dass es sich dabei um innere Bilder und Filme handelte, die sich verändern ließen.


So konnte er lernen, in aller Ruhe und Sicherheit in Situationen einzutauchen, in denen er sich ausgesprochen wohl fühlte. Dabei faszinierten ihn als kreativen Menschen besonders die neu entdeckten Gestaltungsmöglichkeiten und er fertigte während der Sitzung sogar kleine Zeichnungen an.


Nicolai liebte den Wald. Der Geruch von feuchtem Moos, Lichtstrahlen der Sonne, die durchs Blätterdach scheinen und das Plätschern eines klaren Baches - diese Vorstellung bereitete ihm ein wohliges Gefühl.


Als weitere Ressource stellte sich sein Atelier heraus. Wenn er in seiner Vorstellung dort eintauchte, in all die Farben und Materialien, die er in seiner künstlerischen Arbeit benutzte, war er komplett absorbiert und entspannt. Ebenfalls nahm er dieses Flowempfinden in Ausstellungen wahr.


Wir nutzten diese Fähigkeit für eine Form der hypnotischen Desensibilisierung. Wenn er völlig entspannt an seinem Bach im Wald saß, bot ich ihm gleichzeitig kurze Ausflüge an einen Badesee an, so dass sich das entspannte Empfinden mit einer ehemals angstbesetzten Situation überlagern konnte.


Auf diese Weise fand eine Neubewertung der Situation statt, und Nicolai konnte in seiner inneren Welt schon mal recht entspannt am See sitzen, ohne dabei Angstsymptome zu empfinden.

Ein weiterer Aspekt unserer Behandlung war Nicolas Beziehung zu seinem Vater.


Gab es einen Zusammenhang zwischen Nicolas Thalassophobie und den jahrelangen tiefreichenden Schwierigkeiten mit seinem Vater?


Als ich Nicola diese Frage stellte, sagte er: „Im Inneren spüre ich ein ganz klares Ja.“ Mein Vater übte oft so viel Druck auf mich aus, dass ich den Eindruck hatte, es würde mir den Boden unter den Füßen wegziehen, und ich würde im Nichts versinken.


In der nächsten Sitzung widmeten wir einen Teil der Zeit dem konfliktreichen Verhältnis zu seinem Vater. In der Regressionsarbeit (Arbeit mit Situationen aus der Vergangenheit) begegnete der kleine Nicolai seinem Vater, und es zeigte sich, wie viele Kämpfe sein Vater in sich austrug.


Wie sehr er sich einen Sohn wünschte, der seinen Vorstellungen entsprach, und wie unterschiedlich sie von Wesen her waren.


Das künstlerische und intellektuelle Wesen seines Sohnes war ihm völlig fremd, und er konnte überhaupt nicht damit umgehen. Bei der Arbeit mit dem inneren Kind findet häufig ein Vergebungsprozess statt. In Nicolas Fall war es eher die gegenseitige Bereitschaft, den anderen kennenzulernen und mehr Verständnis füreinander zu erlangen. Dies war sehr berührend.


Im zweiten Teil der Sitzung vertieften wir die Arbeit mit der Desensibilisierung, so dass Nicola in der hypnotischen Trance ins Meer gehen konnte und dabei entspannt blieb.


„Ich kann jetzt endlich die Schönheit der Unterwasserwelt wahrnehmen, von der viele meiner Freunde schwärmen. Eine unendliche Vielfalt mit ihren Formen und Farben. Auch wenn mir noch etwas mulmig ist, bei der Vorstellung Raubfischen, vielleicht sogar Haien zu begegnen, das Wunder dieser fantastischen Welt überhaupt wahrnehmen zu können, wo früher einfach nur Angst und Panik war, ist ein Riesenfortschritt für mich“, erzählte mir Nicola in der Nachbesprechung.


Es war sein ausdrücklicher Wunsch, sich in den kommenden Wochen ganz bewusst seinem Vater anzunähern und gleichzeitig aktiv die Nähe des Wassers zu suchen. Ebenfalls beschloss er das Thema: Im Rausch der Tiefe in seine künstlerische Arbeit aufzunehmen. Wir vereinbarten, mehrere Wochen bis zur nächsten Sitzung vergehen zu lassen und ich war sehr gespannt, was sich in dieser Zeit entwickeln würde.


Zunächst hörte ich eine Weile nichts von Nicola, dann begann er mir Fotos von Skizzen zu senden. Besonders beeindruckte mich eine Zeichnung, auf der er unter Wasser staunend in einem Glaswürfel sitzend zu sehen war. Von dort aus beobachtete er Fische, Pflanzen, aufsteigende Luftblasen und er schien sich dort wohlzufühlen.


Auf anderen Skizzen sah man ihn im Gespräch mit seinem Vater, einmal beim Spaziergang und ein anderes Mal am Tisch sitzend. Er schrieb mir, dass er keine weiteren Sitzungen in Anspruch nehmen möchte und bedankte sich für unsere gute Zusammenarbeit.


Einige Monate danach erhielt ich eine selbstgefertigte Postkarte aus Sizilien, wo er einen Urlaub mit seinem Vater verbrachte. Von dort aus wünschte er mir alles Gute und sendete noch einmal einen herzlichen Dank.


Fazit: Als Therapeut und Begleiter erfahren wir nicht immer, wie genau der Weg unserer Klienten und Klientinnen nach unserer Zusammenarbeit verläuft.


In Nicolas Fall scheint jedenfalls eine Annäherung mit seinem Vater stattgefunden zu haben, was ich als wunderbare Entwicklung ansehe. Ebenfalls berührte mich, wie er sein künstlerisches Talent in die Behandlung seiner Angst vor tiefem Wasser einbrachte.


Während er die Thalassophobie als Jugendlicher zum ersten Mal erlebte, tritt sie in anderen Fällen bereits im Kindesalter auf. Sie wird in der Fachwelt sowohl als Angst vor dem Unbekannten interpretiert und zugleich können es auch einmalige Erlebnisse sein, welche diese Angststörung auslösen.


Beispielsweise unangenehme Begegnungen mit Fischen und Meeresbewohnern, mit Wasserpflanzen oder auch einschneidende Erlebnisse, bei denen die Gefahr des Ertrinkens besteht. Ebenfalls kann die Angst vor tiefen Gewässern auch eine Metapher für problematische Lebensverhältnisse sein, wie in Nicolas Fall. Thalassophobie wird auch als Aquaphobie oder Angst vor dem Meer bezeichnet, was genau genommen nicht ganz korrekt ist.


Hypnose ist eines der ältesten Heilverfahren, die wir kennen. 2006 wurde sie vom Wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie (WBP) anerkannt. In der Regel kommen meine Praxisbesucher*innen zwischen drei und fünf Mal zur Behandlung, um eine Lösung für ihr Problem zu finden. Im Vorfeld einer Hypnosetherapie bei Ängsten oder Zwängen solltest Du, wie bei anderen Anliegen auch, organische Ursachen für deine Beschwerden ausgeschlossen haben. Nicolas` Fall ist ein wunderbares Beispiel dafür, wie kraftvoll Hypnosetherapie sein kann, um das Leben eines Menschen positiv zu verändern. Mehr über Jojo Weiß.


Herzliche Grüße,

Jojo Weiß


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